Samstag, 23. Februar 2013

Die Buddhas vom Berghof - 10 Tage Schweigemeditation


Neben mir zieht das bayrische Voralpenland, mit saftig grünen Wiesen und viel Viehzeug vorbei. Ich sitze im Zug nach Agatharied. Ein Meditationskurs erwartet mich. Zehn Tage schweigen, etwas Selbstentwicklung und Ommmm...

Nervös bin ich schon, aber nicht beunruhigt. Das läuft bei mir alles unter dem Titel "Selbstentwicklung". Und was soll einem an einem "Selbstentwicklungskurs" schon beunruhigen. Und einmal die Klappe zu halten, kann mir wahrlich nicht schaden.

Selbstentwicklungskurs?!


Der Unterschied zwischen einem Selbstentwicklungskurs und Vipassana ist in etwa so, wie der zwischen einem Glühwürmchen und einem Blitz. Das werde ich ab Tag drei merken. Denn ab da werde ich schlaflos sein.



Aber was ist Vipassana?

Es ist ein Meditationsseminar, bei dem die „Teilnehmer ihre Konzentrations- und Wahrnehmungsfähigkeit“ schulen und zehn Stunden am Tag unter Anleitung meditieren. Während der gesamten Zeit dürfen die Teilnehmer nicht quasseln, alles ist so arrangiert, dass es auch keinen Grund gibt sich zu unterhalten.

Die Kurse werden von früheren Kursteilnehmern durch Spenden finanziert. Für die Teilnehmer fallen weder für die Verpflegung noch Unterkunft kosten an. Was man mitbringen muss, ist einzig und allein den festen Willen, die Zeit durch zu stehen.

„Der Kurs erfordert hartes, ernsthaftes Arbeiten.“

Das ganze wird sehr strikt und mit klaren Regeln durchgeführt, dass ist sicher nicht jedermanns Sache. Der Tag beginnt um 4 Uhr mit dem Gong und endet gegen 21 Uhr. Nach vier Jahren im Militär schreckte mich das nun nicht sonderlich ab und das Gequatsche beim Militär, hätte ich mir auch sparen können. Selbstdisziplin und etwas Leidensfähigkeit helfen einem durch die Zeit - Frauen sind dafür besser gemacht als Männer.

Wer sich für innere Einkehr und Meditation interessiert, der sollte sich mit den Vipassana-Regeln auseinander setzen und schauen, ob er die zehn Tage "sitzen" will. Ich bin über Gespräche mit Freunden und das Buch „Triffst du Buddha, töte ihn!: Ein Selbstversuch“ darauf aufmerksam geworden.

Nachdem ich mich versichert hatte, das es keine Sekte ist, habe ich mich dann angemeldet. Es gibt kritische Stimmen zu Vipassana, denn vor allem für Menschen mit Depressionen und psychischen Störungen ist es nicht gerade förderlich, aber das wird ausdrücklich auf der Vipassana-Seite und bei der Anmeldung mehrfach explizit beschrieben. Wer also nicht glaubt Stimmen zu hören oder von Zwängen getrieben, seinen Kopf gegen die Wand kloppt, der kann ganz in Ruhe die zehn Tage sitzen.

Was das Sprechen angeht, gibt es eine Ausnahme: In der Mittagspause kann man, nach Anmeldung mit der Kursleiterin, in meinem Fall die über siebzig Jährige Flo Lehmann, sprechen und Fragen zur Meditation stellen. Auch am Abend können die Teilnehmer die Fragen in der Halle stellen. Das sind dann aber schon sehr spezifische Frage

In der Burka auf dem Berghof

Als ich klein war, waren verschleierte Frauen aus dem Morgenland mystisch und bei Alibaba oder Der kleine Muck verzauberten sie die Männer mit ihren Augen. Zumindest haben Schleier das in meinem Kinderhirn hervorgerufen. Heute lösen Schleier große Panik aus und sind ein Zeichen der Unterdrückung. Hier auf dem Berghof, wo Männer und Frauen so streng getrennt sind wie bei einer afgahnischen Steinigung, vollzieht sich über die Tage ein Wandel.

Eine Frau nach der anderen verschleiert sich. Alle Damen tragen plötzlich Kopftücher, nicht nur in der Dharma Halle, sondern auch draußen auf der Wiese und in den Räumlichkeiten. Sicher ist die eine oder andere dabei, die das gar nicht merkt und später wieder wild lodernd über die Unterdrückung durch das Kopftuch wettert.

Das Frauen das Kopftuch freiwillig tragen könnten, darauf kommen vermutlich nur wenige...

Als ich später eine Dame nach dem Grund der Verschleierung frage, sagt sie: „Man will nicht mehr angesehen werden, für sich sein und dabei hilft das Kopftuch."

Freiheit durch Verschleierung? - Mon Dieu!

Adhiţţãna - Mit großer Entschlossenheit „sitzen“


In den ersten Tagen kann man sich beim Meditieren bewegen, denn man fängt ja erst an. Später wird es dann etwas verschärft durch Adhittana-Sitzungen. Wir sollen nicht länger als eine Stunde drei mal am Tag „A-di-tana“ sitzen - also mit großer Entschlossenheit ohne jegliche Bewegung. Mein Ego ist noch groß und so kann ich es mir nicht verkneifen, am sechsten Tag die Kursleiterin in der Meditationshalle aufzusuchen. Zwischen 12 und 13 Uhr darf man Fragen formulieren, wenn man sich zuvor angemeldet hat.
Mir macht das still sitzen auch über ein Stunde wenig aus, dennoch erlaubt sie mir nicht, länger zu sitzen als eine Stunde - dann bewegen! Ich könnte aber auf vier Mal am Tag Adhittana sitzen. Beiläufig meint sie: "Da könnten sonst zu große Brocken hoch kommen, mit denen wir nicht umzugehen wüssten."

Etwas stutzig über die letzte Formulierung bedanke ich mich und verlasse die Halle.

Zu große Brocken hochkommen? Was soll denn hoch kommen?

Oh, wenn ich nur wüsste... Einge Stunden später kommt es hoch - richtig hoch.

Und dann sitze ich beim Abendessen, vor meiner halben Banane und einer Birne - so sieht das Abendessen jeden Tag aus. Als plötzlich ein Satz in meinem Kopf auftaucht, mein Oberkörper wird warm, die Beine verkrampfen. Der Satz ist so kristallklar formuliert und knapp, als hätte er aufs Papier gesollt. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, was sich da formuliert. Es erklärt die Beziehung zu meiner Familie und ist sacke persönlich, also schreibe ich's hier nicht hin.

Der Gedanke steckt wie ein Nagel in meinem Unterbewusstsein.

In den nächsten Tagen kommen mehr Nägel, rostige Nägel und mit ihnen kommen Emotionen: Wut, Freude und Trauer wechselten sich ab.

Später bezeichne ich diese Momente als Gehirnkotze, weil du plötzlich einen Gedanken auskotzt und der vor dir auf dem Tisch liegt. Jetzt hast du zwei Möglichkeiten: Erstens, du stocherst in der Emo-Suppe rum oder du wischt den Dreck weg und machst weiter mit: Gleichmut.

Mit der Anzahl der Gedanken, die in den nächsten Tagen noch hoch kommen, habe ich viel Gelegenheiten zum Aufwischen. Ab Tag 8 bin ich der Meister im wegwischen meiner eigenen Gehirnkotze. Gleichmut, meditieren und atmen. Anitscha, Anitscha, Anitscha. Alles hat ein Ende.

In den Gesprächen im Anschluss haben wir uns über sehr unterschiedliche Erlebnisse ausgetauscht, einige fanden es auch nur langweilig oder belastend da zu sitzen. Aber auch das ist ja eine Erfahrung. Für mich gab es immer wieder diese Momente, in denen Sachen aus der Vergangenheit aufpoppten. Jeder macht so seine Erfahrungen.

Reinkarnation - Der Frosch in mir

Auf der Suche nach der perfekten Sitzposition, entdeckte ich, dass es am Besten für mich ist, wenn die Beine nach hinten angewinkelt unter meinem Gesäß zu liegen kommen - ich mach‘ den Frosch. Gut nach ein bis zwei Stunden sitzen, merkt man die Beine nicht mehr, aber einen Tod muss man schließlich sterben. Und während sich das Blut langsam kribbelnd aus den Beinen zurückzieht und die Schmerzen die Meditation nur vertiefen, da kam mir die erste Erleichtung: "Ich bin die Reinkarnation eines Frosches, der vom Auto überfahren wurde." Deshalb kann ich so sitzen und mag keine Autos - das erklärt einfach alles.

Tränen bitte

Ich teilte mir das Zimmer mit zwei Medizinern, einem Studenten aus St. Gallen und einem Jazz-Musiker, der in Amsterdam lebt. Witzige Truppe, taurig nur, dass wir nicht miteinander sprechen konnten.

Eine Regel der zehn Tage war es ja, „kein lebendes Wesen zu töten“. Nun überfielen den Berghof aber in der Dämmerung ganze Herrscharren von Mücken und die zerfrassen einen bei der Meditation ab 4 Uhr und beim Schlafen.

Am Abend des zweiten Tages lief ich ins Zimmer und sah, wie der Musiker in Boxershorts und Badelatschen in die Luft sprang und versuchte die Mücken in der holen Hand zu fangen, um sie dann aus dem Fenster zu werfen. Was so zwei drei Tage Einkehr anrichten können, das verschweigt der Arzt. Die Mücken kamen glaube ich jeden Abend zu uns, nur um das Spektakel mit anzusehen und sich zu bepissen. Wenn man nicht so viele äußere Eindrücke hat, dann erwischt einen ein Lachanfall ziemlich übel. Mir liefen Bäche von Tränen über die Wangen.

Nicht lustig

Spaß beiseite. Für mich war die Erfahrung, was mit Meditation möglich ist, ein sehr eindrucksvolles Erlebnis. Welchen Grad an Ruhe in einem sein kann, wenn kein Gedanke durch den Kopf wirbelt, ist kaum anders zu erfahren.

Das Sitzen und nichts denken, die tiefe Konzentration und Einkehr. Es war klärend und erhellend und dennoch nur die Spitze eines Eisbergs von Erfahrungen, den es zu entdecken gilt.

Wenn ihr Fragen habt oder eigene Erfahrungen, dann würde ich mich freuen, davon zu hören!

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